Verfahrensfallen beim Vorsorgeausgleich: Warum Sie in der Scheidung sofort handeln müssen (Art. 317 ZPO)

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Die Regelung des Vorsorgeausgleichs (Teilung der 2. Säule) ist oft der komplexeste und finanziell wichtigste Teil einer Scheidung. Während der Gesetzgeber mit Art. 122 ZGB eine faire, hälftige Teilung anstrebt, müssen Sie die Verfahrensvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) unbedingt beachten, sonst drohen Ihnen finanzielle Nachteile.

Viele verlassen sich zu stark auf die Unterstützung des Gerichts. Das ist ein Fehler, denn die aktive Hilfe des Richters ist zeitlich begrenzt.

 

Die Gerichtshilfe ist nicht unendlich: Offizialmaxime in der 1. Instanz

Der Gesetzgeber weiss, dass Laien in Scheidungsverfahren überfordert sind. Daher gilt für den Vorsorgeausgleich vor dem erstinstanzlichen Gericht die sogenannte Offizialmaxime und die Untersuchungsmaxime. Das ist Ihre grosse Chance:

  • Gerichtliche Verantwortung: Das Gericht trägt die Hauptverantwortung für die korrekte und vollständige Ermittlung des Sachverhalts. Es holt aktiv alle notwendigen Auskünfte bei den Pensionskassen (PK) der Ehegatten ein.
  • Ihre Mitwirkungspflicht: Trotzdem dürfen Sie sich nicht zurücklehnen. Sie haben eine Mitwirkungspflicht. Wenn Ihnen Belege oder Informationen zum Vorsorgeguthaben des anderen Ehegatten vorliegen (z.B. frühere PK-Auszüge, Angaben zu Wohneigentumsvorbezügen), müssen Sie diese dem Gericht unaufgefordert vorlegen. Unvollständigkeit oder Verschweigen von Fakten kann als Verletzung der Sorgfaltspflicht gewertet werden.

Beispiel: Sie wissen, dass Ihr Partner noch ein Freizügigkeitskonto hat, welches das Gericht vergessen hat abzufragen. Wenn Sie dies nicht mitteilen, verletzen Sie Ihre Pflicht zur aktiven Mitarbeit.

 

Novenverbot (Art. 317 ZPO): Die Tür schliesst sich in der Berufung

Der entscheidende Punkt ist der Wechsel in die zweite Instanz (Berufung). Ab diesem Zeitpunkt endet die weitgehende Unterstützung durch die Untersuchungs- und Offizialmaxime. Es tritt Art. 317 ZPO in Kraft, das Novenverbot.

  • Keine neuen Fakten mehr: Das Gericht prüft im Berufungsverfahren nur noch, ob das erste Urteil rechtlich korrekt war. Neue Tatsachen oder Beweismittel zum Vorsorgeausgleich werden nur zugelassen, wenn sie trotz aller zumutbaren Sorgfalt nicht schon in der ersten Instanz vorgebracht werden konnten.
  • Strikte Anwendung: Der Bundesgerichtshof wendet das Novenverbot in der Regel sehr strikt an. Wer es versäumt hat, wichtige PK-Auszüge oder Beweise rechtzeitig in der ersten Instanz einzureichen, hat in der Berufung meist keine Chance mehr.

Deshalb gilt: Arbeiten Sie von Anfang an mit höchster Sorgfalt und Transparenz. Nur so stellen Sie sicher, dass Ihr Anspruch auf Vorsorgeausgleich umfassend und fair berechnet wird.

 

Fazit

Sichern Sie Ihren Vorsorgeausgleich, indem Sie die Verfahrensgrundsätze kennen und beachten. Die Hilfe des Gerichts in der ersten Instanz ersetzt nicht Ihre aktive und vollständige Mitarbeit. Wegen des Novenverbots müssen Sie alle Fakten sofort offenlegen – handeln Sie darum schnell und präzise.